ein Beispiel

Der Archetyp des Mütterlichen

Der Archetyp der Mutter symbolisiert die Hingabe an das Leben, damit das, was ins Leben will, sich entfalten und zu seinem Selbstausdruck finden kann. Dieser Archetyp ist zutiefst mit dem Empfangenden verbunden, als Ausdruck der Hingabe an das Schöpferische, das die Dinge zeugt und die durch das Empfangene geboren werden.

Es ist die Fruchtbarkeit, die Blüte, die sich öffnet, um befruchtet zu werden. Befruchtung ist ein Vorgang von großer Intimität, ein Vorgang der Verinnerlichung, der Sammlung des Wesens, des Geschehenlassens. Nachgiebigkeit ist für diesen Archetypen ebenso eine Stärke wie die Hingabe. Hingabe an das Geschehen, an das, was ins Leben will, an das Mysterium der Entstehung neuen Lebens.

Das Mütterliche gibt uns Geborgenheit. Gibt uns alles, dessen wir bedürfen, um in das Leben gehen zu können – die Nahrung, die Milch, das Quellwasser. Es nimmt uns an, ohne Wenn und Aber, mit großer Geduld. Es ist  immer wieder vergebend, voller Sanftmut und Hingabe an das junge Leben. Es spendet Trost und, wenn es sein muss, nimmt es das Leid der Welt auf sich.

Das alte Lied

Ich weiß ein altes Wiegenlied,
Das hört' ich oft als junger Bub',
Wenn ich von Spiel und Springen müd'
Das Haupt in Mutters Schoß vergrub.

Sie sang es leis, als säng' im Baum
Ein schlummertrunknes Vögelein;
Die Worte, die verstand ich kaum,
Mich wiegte nur die Weise ein.

Die Weise war so still und zart.
Wie schnell mein kleines Herz auch lief,
Sie machte, daß es ruhig ward
Und ganz erfüllt von ihr entschlief.

Nun such' ich immer, immerzu
Des alten Liedes Melodie,
Das wieder säng' mein Herz zur Ruh' …
Und find' es nie – – Und find' es nie ...   (A. de Nora)

Es ist die Verbindung mit dem Ursprung des Lebens, mit der Quelle in uns. Deshalb ist auch jede Quelle in der Natur, wo Wasser hervortritt, ein Ort dieses Archetypen. Wasser ist Volumen ohne Form und symbolisiert als eines der vier alten Elementen sowohl die Beeindruckbarkeit als auch das seelische Wollen als das Uranfängliche. In der ägyptischen Mythologie ist dem Schöpfer und Sonnengott AMUN (der auch die Namen RE und ATUM trägt) das Urgewässer NUN vorangestellt. Und so, wie dem schöpferischen Akt das seelische Wollen vorangestellt ist, geht der Archetypen des Mütterlichen als seelisches Prinzip dem  Archetyp des Heldischen als schöpferisches Prinzip voran.

„Wenn sich die Kraft der Seele zeigt, entsteht Frieden. Dann ist alles da. Es ist nichts mehr zu denken oder zu fragen. Alles ist da. Alles was dann zu schnell ist, wirkt störend.“ (Ursa Paul)

Tja – da ist es wieder, das Seelische. Für manche Menschen ist das ja eher ein Reizwort. Aber ich bin mir sicher, wir können uns alle miteinander im Angesicht der neueren Erkenntnisse der Neurowissenschaften darauf verständigen, dass der Mensch ein Unterbewusstsein hat, welches tief reicht und wirkungsmächtig ist. Ich werde im weiteren vom Seelischen sprechen, wer mag, kann es mit tiefem Unterbewussten gleichsetzen.

Wir haben ein uns angeborenes Bedürfnis, unser Inneres in der Tiefe zu erkunden. Der Zugang zu dem Seelischen geschieht über die Hingabe an uns selbst, an das Kind, das in unserem Innersten darauf wartet, dass wir ihm begegnen. Und über dem Zugang hängt eine Banner und darauf steht:

FÜHLEN

 

Der Archetyp des Mütterlichen öffnet uns den Zugang zu unserem eigenen Inneren über das Fühlen. Er ist ein Meister der Gefühle.

Aber - was sind Gefühle, was sind Empfindungen, was Emotionen? Es herrscht diesbezüglich oft eine ziemliche Verwirrung.

„Gefühle sind ein Ausdruck des Selbst, das mit dem Göttlichen verbunden ist“ Gefühle sind Ausdruck unserer Verbindung mit unserem wahren Selbst und seinen seelischen Qualitäten wie Liebe, Stärke, Vertrauen, Friedfertigkeit, Wertschätzung, Lust, Klarheit, Einfachheit. Gefühle sind Regungen unserer Seele, die sich frei fließend in unserem Leben ausdrücken können. Gefühle sind kostbare Augenblicke in unserem Leben. In ihnen zu sein, verbindet uns mit dem inneren Reichtum unserer Seele. Um zu unserer Vollständigkeit zu finden, müssen wir lernen, die Gefühle unseres Selbst zuzulassen und bei ihnen zu bleiben.

Üblicherweise meinen wir mit Gefühlen auch jene Gemütsregungen, die ich hier zur Unterscheidung als Emotionen bezeichne. Emotionen sind Wirkungen unseres Getrenntseins von unserem wahren Selbst. Sie „nähren“ sich aus jenen Anteilen unserer Persönlichkeit, die entstanden sind als wir uns einmal geweigert haben, bestimmte Erfahrungen (die mit Schmerzen, Trauer oder Leid verbunden waren) ganz zu durchleben. Emotionen sind Ausdruck unseres Erleidens der Distanz zu unserem wahren Selbst und unserer Abwehr, uns mit dem wirklich auseinander zu setzen, was uns von unserem wahren Selbst fern hält. Emotionen entstehen in uns, wenn wir unser inneres Kind in schwierigen Augenblicken unseres Lebens allein lassen und unsere Authentizität verlieren (Erika J. Chopich, Margaret Paul, Aussöhnung mit dem inneren Kind). Solche Emotionen sind Angst, Hass, Eifersucht, Neid, Geiz, Selbstmitleid, Gier, Verachtung, Misstrauen usw.

Um zu unserer Vollständigkeit zu finden, müssen wir uns von unserer Vergangenheit mit allen ihren falschen Vorstellungen von uns selbst und all den inneren Weigerungen, bestimmte Zustände des Seins in uns lebendig sein zu lassen, verabschieden. Hierfür können wir unseren Emotionen „folgen“, denn sie zeigen uns, wo wir uns von unserem wahren Wesen entfernt haben. Eine Emotion ist an eine bestimmte festgelegte Art der Erfahrung und Sicht der Wirklichkeit gekoppelt. (Hanneke und Hans Korteweg, dem Inneren Licht folgen) Ihr zu „folgen“ bedeutet, sie ernst zu nehmen, zu erforschen, ihre Hintergründe, ihre Wurzeln zu suchen. Emotionen müssen heraus, was schon die lateinische Bedeutung des Wortes (e-movere – sich nach außen bewegen) nahelegt. „Eine Emotion zielt darauf, dass man sich einer Spannung entledigen will, während ein Gefühl auf Kontaktaufnahme zielt“. (ebenda)

Der Archetypen des Mütterlichen öffnet uns für die Eindrücke der Welt, im Sinne eines Berührtwerdens, emotional und gefühlvoll zu sein, um uns unserem seelischen Wesen, unserem wahren Selbst, unserer Quelle anzunähern. Aber eben auch, um unsere Emotionen zu erleben. Denn sie sind wertvoll, da sie uns wie ein innerer Kompass helfen können, uns selbst zu finden.

Empfindungsfähigkeit bzw. Empfänglichkeit und die Rückbindung zu unserem Ursprung, unserem innersten Wesen, berührt werden, fühlen, mitfühlen, Selbstbesinnung, erspüren des Wesentlichen – mit alle dem bringt uns der Archetyp des Mütterlichen in Verbindung.

„Wenn Du die Welt verstehen willst, dann musst Du in Dein Inneres gehen, wenn Du Dein Inneres verstehen willst, dann musst Du in die Welt gehen.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

Für alle in unserem Gehirn gespeicherten Emotionen und Erinnerungen, die aus unserer frühen Lebensphase stammen, wird die Metapher des Inneren Kindes genutzt. (Jon Bradshaw) Das Innere Kind ist gewissermaßen eine Teilpersönlichkeit in uns, die in unserem Unterbewussten wohnt. Unsere Beziehung zu ihm kann sehr unterschiedlich sein. War unsere Kindheit sehr glücklich, ist es uns nah. Haben wir in der Kindheit wenig Liebe bekommen, waren wir viel krank oder wurden missbraucht, sind wir unserem Inneren Kind fern, lehnen wir es sogar ab, um die scherzhaften Erfahrungen, die mit ihm verbunden sind, nicht erneut fühlen zu müssen. Allerdings – Je verletzter das Innere Kind ist, desto ungeliebter und verlassener es sich fühlt, umso stärker ist sein unbewusster Einfluss auf das Erwachsenendasein. So lange wir leben, sucht unser Inneres Kind die Verbindung zu uns. Das Innere Kind wahrzunehmen und insbesondere wertzuschätzen, ist die wesentliche Voraussetzung, um eine heile und ganze Persönlichkeit zu werden.

 

Menschen, in denen der Archetyp des Mütterlichen sehr präsent ist

Es ist die innere Bereitschaft, dem Leben, das nach mir kommt, alles zu geben, was es braucht, um gedeihen zu können. In diesem Sinne ist es die Hingabe. Als menschliches Verhalten bedeutet dies behüten, bemuttern, fürsorglich sein und nähren, mit einer Gestimmtheit, die zart, eher zurückgezogen, verinnerlicht und ruhig ist. Das Mütterlich ist sanft, möchten beliebt sein und meidet eher den Konflikt, zieht sich dann eher zurück, verpuppt sich. Es ist freundlich und hingewandt an die Bedürftigen, angerührt von dem Leben, das Fürsorge braucht. Es ist empfindsam, leicht verletzbar, neigt zu Unsicherheit im Außen, zur Schüchternheit, zur Angst vor Blamage und vor Zurückweisung. Dies kann so weit gehen, dass es lieber verzichtet trotz tiefer Gefühlsverbindungen, um der Enttäuschung zu entgehen. Menschen, in denen der Archetyp des Mütterlichen sehr präsent ist sind romantisch, träumerisch, phantasievoll, einfühlsam, musisch und schmusig. Sie brauchen Schutz vor der rauen Wirklichkeit. Sie suchen das Vertraute, die traute Intimität,  sind häuslich, familiär und haben einen Bezug zu ihrer Herkunft. Denn da ist eine starke Sehnsucht nach den Ursprüngen des Lebens. Sie spüren am ehesten die Sehnsucht in sich, der Mensch zu sein, der sie wirklich sind – „echt“ zu sein. Sie suchen immer das Wesentliche, mit dem sie sich identifizieren können. Daher rührt die starke Verbindung mit der eigenen Herkunft, mit der Tradition, aus der man entsprungen ist, der Heimat, dem Heim, der Mutter.

Sie haben eine tiefe Verbindung zur Mutter Natur und zu den Kräften der Natur, zu den archaischen Gestaltungskräften des Daseins und zu den Rhythmen der Lebensprozesse, zu der Kraft der Rhythmen, des Pulsierens, des Ein- und Ausatmens, Ebbe und Flut, der Pulsation des Blutes, dem Zyklus der Fruchtbarkeit und zu den Wachstumsrhythmen. Sie spüren instinktiv, wann ein Entwicklungsprozess reif ist für den nächsten Schritt. Sie spüren instinktiv, was andere brauchen. Ihre Einfühlsamkeit, ihre Sanftheit, ihr Gespür für den rechten Augenblick und für das, was gebraucht wird, versetzen sie in die Lage, außerordentlich befruchtend auf Entwicklungsprozesse zu wirken.

Die Gabe des Mütterlichen

Der Archetyp des Mütterlichen schenkt dem Menschen Nähe zu sich selbst. Er schenkt ihm die Empfindungsfähigkeit, im Sinne des Anbindens an das eigene innere Wesen. Empfinden bedeutet, mich in mir zu finden

Lass Dir nicht einreden, Du seist so eine Art Bioroboter. Wir sind beseelte Wesen! Das Mütterliche hilft uns, unabhängig von den Vorstellungen des rationalen Materialismus zu werden.

Seit dem Beginn der Aufklärung gegen Ende des 17 Jahrhunderts hat unsere Kultur einen tiefen Wandel durchlebt. Das rationale Denken, die Betonung der Vernunft und die Hinwendung zu den Naturwissenschaften und damit zu einem rationalen Materialismus sind immer mehr in den Vordergrund gerückt. Alles Mystische, alles Irrationale wurden mehr und mehr verdrängt und der Glaube durch das Wissen zunehmend ersetzt.

Das war gut und richtig, um aus einer dumpfen Unwissenheit und dem Bann der Kirche und ihrer Moral zu entkommen. Aber indem das Pendel von der Seite des Glaubens ganz auf die Seite des Wissens geschwungen ist, sind wir in die nächste Falle geraten, nämlich zu meinen alles wäre mit den Naturwissenschaften erklärbar und unser Verstand sei die oberste Instanz.

Das Mütterliche kann uns helfen, das Pendel in die Mitte zu bringen. Denn wir sind beides. Wir sind Wesen mit einem physischen Körper und wir sind Wesen mit einer Seele.

Mag sein, das ist für Dich ein fremder Gedanke – Seele – was soll das sein? Kann man Seele erklären? Sicherlich nicht im Sinne eines rationalen Materialismus, denn sie ist jenseits des Materiellen und damit auch nicht fassbar durch die Naturwissenschaften. Aber lass Dich davon nicht irre machen. Spür in Dich hinein. Du hast eine Empfindsamkeit mit der Du auf Stimmungen reagierst, auf Bilder, auf Klänge, auf  die Natur.  Du hast eine Gemütstiefe, bist gefühlvoll und mitfühlend, bist anrührbar und kannst, wenn Du es zulässt, die Sehnsucht nach Selbstausdruck spüren, die Du in Dir trägst. Spüre hin und Du erlebst, dass Du immer auf der Suche nach etwas bist, an dem Du Dich seelisch reiben kannst. Geh hinter die Selbstkontrolle und gestehe Dir ein, wie leicht Du seelisch verwundbar bist und eine ausgeprägte Sensibilität gegenüber Miss-Stimmungen entwickeln kannst.

Es braucht Zeit und Raum für dieses Mit- und Nachschwingen. Nimm Dir in dieser Zeit des Getriebenseins den Raum dafür. Verbunden mit dem Archetypen des Mütterlichen hast Du einen starken gemüthaften Bezug zur Umwelt, der Dir hilft, Dich anmuten zu lassen, Resonanzen zuzulassen, ergriffen zu werden von Eindrücken, um damit letztendlich eine Verbindung zu dem eigenen Innersten aufzubauen.

Tiefergehende Eindruck müssen verdauen werden, ehe eine Offenheit  für weitere besteht. Deshalb bist Du hier manchmal launenhaft oder überbetont sensibel. Aber das ist gut. Erlaube es Dir, denn es ist Deine Seele, die eine Verbindung zu Dir sucht.

Der Schatten des Mütterlichen

Das Überfürsorgliche kann Probleme damit haben, die Kinder laufen zu lassen. Und dann ist da der Überschwang der Gefühle. Menschen, in denen das Mütterliche sehr präsent ist, sind empfindsam, neigen dazu, leicht verletzbar, nachtragend, launenhaft zu sein und sich zurückzuziehen (das ´Seelchen´). Jedenfalls erscheint dies so, denn sie brauchen Zeit, um die unangenehmen Gefühle zu verdauen. Überhaupt könnte ihre Geschwindigkeit das Kriegerische manchmal in den Wahnsinn treiben.  Da eine Stimmigkeit mit ihrem Innersten so bedeutsam ist, sind sie keine Hauruck-Menschen sondern brauchen Zeit, erscheinen deshalb als passiv, träumerisch und gelegentlichen weltfremd. Zugleich ist es aber für sie überhaupt kein Problem, einmal gefundene Strukturen auch wieder loszulassen.

 Sie neigen auch zur Unsicherheit im Außen, zur Schüchternheit, zur Angst vor Blamage und vor Zurückweisung. Dies kann so weit gehen, dass sie lieber verzichten, trotz tiefer Gefühlsverbindungen, um der Enttäuschung zu entgehen.

Haltungen, die Dich dem Archetypen der Mutter näher bringen

Um den Archetypen in Dir zu einer stärkeren Präsenz zu verhelfen und ihm mehr Anschluss an Dein Bewusstsein zu geben, kannst Du die folgenden Haltungen, bzw. eine oder einige davon, einnehmen. Bitte nimm Dir Zeit mit diesen Haltungen. „Schmecke sie, lass sie in Dir wirken.

 

„Ich bin empfindsam und das ist gut so.“

„Meine Gefühle sind genauso wichtig wie meine Gedanken. Ich muss mich fühlen können, um in meiner Vollständigkeit zu sein.“

„Wenn es mir nicht gut geht, nehme ich mich selber in die Arme. Aber auch, wenn es mir gut geht.“

„Kleine Kinder sind soooo schutzbedürftig.“

„Mein Innerstes weiß am besten, was gut für mich ist.“

„Ich will auf die Stimme der Sehnsucht in mir lauschen.“

„Es tut mir gut, für andere zu sorgen.“

„Ich lasse mich nicht drängen und spüre in mir, wann der Zeitpunkt für den nächsten Schritt gekommen ist.“

„Zuhause ist es einfach am schönsten“

Tu all das, was Dich Deinem Inneren näher bringt. Meditiere oder lerne, zu meditieren, schenke Dir Stunden, wo Du Dich bei Dir selbst einkuschelst – mit der Musik, dem Buch, dem Licht, den Düften, der Wärme , die Du magst. Schau kleinen Kindern zu, wie sie durch das Leben tollen und freue ich darüber. 

Und befasse Dich intensiv mit der folgenden Frage:

 „Wie kann ich mich mit meinem seelischen Potenzial verbinden – mit dem in mir, was ich wirklich bin und was sich im Leben entfalten will?“